Meditation basiert auf Wahrnehmung. Wahrnehmung ist die Grundlage unserer Existenz und dabei völlig anstrengungslos. Wenn du morgens aufwachst, nimmst du schon wahr (auch wenn du vielleicht das Gefühl hast, du bräuchtest erst mal einen Kaffee, um richtig wach zu sein). Wenn du ins Bad gehst, nimmst du wahr. Wenn du aus dem Haus gehst, nimmt du wahr. Selbst wenn du todmüde bist, nimmst du wahr. Wo auch immer du bist, was auch immer du tust, und egal, ob dein Bewusstsein klar oder vernebelt bist, du nimmst wahr. Zu erkennen, dass man immer schon und ohne Anstrengung wahrnimmt, ist die Grundlage der Meditation. Die Praxis der Meditation besteht darin, diese Erkenntnis in allen Erfahrungen präsent werden zu lassen. Dazu ist es egal, wo man ist und was man gerade tut. Jede Erfahrung ist Wahrnehmung, überall und jederzeit, und daher hat man in jedem Moment Zugriff auf Meditation. Es genügt, sich bewusst zu machen, dass man gerade wahrnimmt. Damit ist keine Anstrengung verbunden. Man muss nicht mehr wahrnehmen, irgendetwas bestimmtes wahrzunehmen oder besser wahrnehmen. Man ist einfach nur in dem präsent, was gerade ist. 

Wenn man wahrnimmt, dass man wahrnimmt, löst man sich von den Inhalten der Wahrnehmung selbst. Man erkennt, dass nur die Wahrnehmung eine Konstante ist, nicht aber das, was man wahrnimmt. In jedem Moment ändern sich deine Erfahrungen. Jetzt gerade liest du diesen Text, und egal, ob du seinen Inhalt intellektuell verstehst oder nicht, du nimmst wahr. In 1o Minuten machst du vielleicht etwas ganz anders, aber auch dabei nimmst du wahr. Die Welt ändert sich ständig und die Erfahrung dieser ständigen Veränderung nennen wir Zeit. Meditation ist jenseits der Zeit, weil die Tatsache, dass man wahrnimmt, sich niemals verändert. Die Praxis der Meditation besteht darin, in der Erfahrung dieses Moments die Erfahrung einer konstanten, unveränderlichen Wahrnehmung zu machen. Das ist die Erfahrung der Zeitlosigkeit innerhalb der Zeit. Die Erfahrung der Zeitlosigkeit kann man als eine subtile Stille empfinden. Diese Stille kann durch nichts gestört werden; sie ist zu jeder Zeit präsent. Sie ist vor, nach und in der Erfahrung und wird durch keine Erfahrung verändert. Man kann sie in jeder Erfahrung entdecken.

Wenn man Kontakt mit dieser Stille hat, ändern sich das Denken, das Empfinden und sogar der Körper auf natürliche Weise. Obwohl man in Meditation nichts an der Erfahrung selbst verändert, verwandeln sich die Erfahrungen angesichts der Stille. Die Stille ist wie ein Spiegel; sie wirkt auf die Erfahrung selbst zurück. Wenn du vor einem Spiegel stehst, wirst du deiner selbst bewusst. Du prüfst dein Aussehen, fängst vielleicht an, den Sitz deiner  Kleidung zu korrigieren, und so weiter. Es ist jedoch nicht der Spiegel, der dich verändert, sondern du veränderst dich, weil du in den Spiegel schaust. In der Meditation steht deine gesamte Existenz, dein Denken, Fühlen und Handeln vor einem Spiegel und verändert sich auf spontane Art und Weise. Was es dazu braucht ist lediglich die Bereitschaft, ehrlich und vorbehaltlos in den Spiegel zu blicken.

Alles beginnt und endet mit unserer Wahrnehmung, egal, ob uns das bewusst ist oder nicht. Wir leben nur, weil wir wahrnehmen. Hat man dies erkannt, ist es nur natürlich, die eigene Wahrnehmung zu kultivieren. Meditation ist der direkteste Weg dazu, da sie keinen Bereich des Daseins auslässt und jeden Moment erfasst.

KH 05/23

Meditation